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Am 28. Dezember 1934 fassten 27 Winzer in Freyburg-Unstrut den Entschluss, künftig gemeinsam den Weinbau an Saale-Unstrut zu fördern. Die Winzervereinigung Freyburg-Unstrut wurde gegründet und der drohende Niedergang der traditionsreichen Rebkultur in Mitteldeutschland gestoppt. Ein Gespräch über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Genossenschaft mit der amtierenden Geschäftsführerin Viola Werner.

Gerade reifen die Weine der 90. Ernte seit ihrer Gründung in den Kellern der Winzervereinigung. Wird das ein zünftiger Jubiläumsjahrgang?

Viola Werner: Der Qualität nach unbedingt, unsere Mitglieder haben durchgehend bestes Lesegut geliefert. Die 24er Weine versprechen also nur Gutes. Allerdings sind unsere Tanks und Fässer nur zu einem guten Viertel gefüllt. Die Gründe dafür sind bekannt und zeigen wieder einmal, dass wir – anders als Automobilhersteller oder Kunststoffproduzenten – in enger Partnerschaft mit und Abhängigkeit von der Natur agieren. Doch es ist nicht das erste Mal in unserer Geschichte, dass wir widrigen Umständen gegenüberstehen. Frost, Hitze, Trockenheit, Dauerregen, immer wieder halten uns solche klimatischen Extreme auf Trab. Unsere Antwort darauf hat schon Aristoteles vor 2.000 Jahren formuliert: „Wir können den Wind zwar nicht ändern, aber wir können die Segel anders setzen.“ Und das machen wir nun schon seit 90 Jahren erfolgreich.

Und wie haben Sie nun aktuell die Segel gesetzt?

Viola Werner: Um im maritimen Bild zu bleiben, vollziehen unsere Ertragsstatistiken der letzten Jahre immer wieder stürmische Wellenbewegungen. Nach einigen dürren Jahren füllte glücklicherweise der Jahrgang 2023 unsere Keller ordentlich, so dass wir nun mit diesem Polster verlässlich auch unsere Verkaufsregale füllen können. Wenn auch nicht bei allen Sorten. Die 23er Weine sorgten zudem bei den Bundesweinprämierungen für viel Edelmetall und bescherten der Winzervereinigung erstmals auch den Großen Bundesehrenpreis.
Aber: Gegen einen solchen Frosteinbruch im tiefsten Frühling sind wir freilich machtlos, auch wenn mit Gebläsen und Feuerstellen hier und da versucht wurde, die eisigen Temperaturen zu vertreiben. Auf der anderen Seite haben wir es immer häufiger mit Hitze zu tun, wird Klimawandel deutlich spürbar in der Weinregion. Der Trockenheit begegnen wir mit zusätzlichen Bewässerungssystemen, die allerdings auch große Investitionen in die Infrastruktur erfordern. Dieses Thema beschäftigt uns ja schon seit mehreren Jahren.

Schauen wir noch einmal zurück ins Jahr 1934, wie präsentierte sich die Landschaft an Saale und Unstrut seinerzeit?

Viola Werner: Es ist heute nur schwer vorstellbar, aber rund um Freyburg zeugten um die Jahrhundertwende nur die Trockenmauern von der einstigen Weinkultur. Viele Bauern und Familien gaben nach der Reblausplage den Weinbau auf, setzten stattdessen Obstbäume. In der preußischen Provinz Sachsen wurde dann zögerlich wieder aufgerebt, die Wein-, Obst- und Gartenbauschule 1912 in Freyburg gegründet und damit auch wieder Weinbauwissen vermittelt. Der dortige Keller bot dann auch regionalen Traubenproduzenten die Möglichkeit, wieder Wein zu keltern. Damit war 1933 per Dekret aus Berlin plötzlich Schluss. Der Wein-, Obst- und Gartenbauschule wurde die Konzession entzogen und die Winzer standen wieder einmal vor dem Nichts. Einen Ausweg bot da die Idee einer Genossenschaft. So kam es zur „Gemeinschaft der 27“. Die hat den Keller und auch das Personal in Freyburg übernommen und verarbeitet seitdem ihre Trauben hier. Die erste Ernte von den in die Winzervereinigung eingebrachten 31 Hektar waren stolze 150.000 Liter (heute sind es in guten Jahren fast drei Millionen). Die Rebsorten waren seinerzeit überschaubar, Müller-Thurgau und Portugieser wurden vor allem angebaut. Die Rebflächen wuchsen dann beständig, auch damals schon unterstützt durch staatliche Beihilfen.

Wie hat die Genossenschaft dann die DDR-Zeit überstanden?

Viola Werner: Mit einigen Blessuren, denn die „sozialistische Planwirtschaft“ forderte ihren Tribut. Die Winzervereinigung wurde in Winzergenossenschaft umgetauft. Zudem wurden Abgabemengen an den sozialistischen Handel vorgegeben. Die Natur widersetzte sich den Vorgaben der Einheitspartei und sorgte anfänglich für geringe Erträge, die Erntemengen pendelten zwischen 200 und 500 Tonnen. Aber die Rebfläche wuchs wieder. Im Sortenspiegel tauchen dann auch Silvaner, Morio-Muskat, Weißburgunder, Gutedel und Traminer auf. 1951 wurde am Stammsitz der Genossenschaft der Gewölbe-Fasskeller gebaut, mit einer Kapazität von 450.000 Litern. Damals fragte übrigens eine Tageszeitung, ob denn Freyburg eine U-Bahn bekomme, angesichts der enormen Tiefbauarbeiten.

Aber dort lagerte nicht nur der Wein aus der Region...

Viola Werner:... weil in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in großen Mengen auch Trauben aus den „sozialistischen Bruderländern“ wie Bulgarien und Rumänien verarbeitet wurden. Die kamen per Waggon auf dem Freyburger Bahnhof an und waren oft tagelang unterwegs, ungekühlt, natürlich. Auf den Flaschen klebten dann Etiketten mit solchen Phantasienamen wie „Goldberyll“, „Merano“ oder „Küfers Referenz“.

Das hat sich gründlich geändert mit der Friedlichen Revolution 1989. Wie startete denn die Genossenschaft ins neue Zeitalter?

Viola Werner: Zunächst mit der Rückeroberung des alten Namens. Und dann mit der Rückeroberung der Kunden, die sich zunächst erst einmal durch das neue unbegrenzte Weinangebot durchkosteten. Auch wenn es anfangs nicht danach aussah, haben die Weine von Saale-Unstrut im Wettbewerb mit all den Großen ihren Platz mittlerweile gefunden. Die Winzervereinigung mit jetzt 360 Hektar spielt dabei als größter Weinproduzent Mitteldeutschlands eine wichtige Vorreiter-Rolle und sorgt auch weiterhin für steigende Wahrnehmung.

Blicken wir also in die Zukunft, welchen Herausforderungen sieht sich da die Winzervereinigung gegenüber?

Viola Werner: Aus der Notgemeinschaft von einst ist längst eine erfolgreiche Genossenschaft gewachsen. Denn hier kommen Menschen mit ganz unterschiedlichen Talenten zusammen. Einer steht für den anderen solidarisch ein, ohne sich von den Bedingungen des Marktes zu verabschieden. So ist die Winzervereinigung Freyburg-Unstrut heute im ländlichen Raum ein wichtiger Arbeitgeber. Und ein großer Wirtschaftsfaktor, wurden doch allein in den letzten zehn Jahren 21 Millionen Liter Wein nicht nur erzeugt, sondern auch verkauft, im In- und Ausland.

Den Grundstock dazu legen tagtäglich die Mitglieder. Die sorgen für eine hohe Qualität der Trauben und deren wachsende Akzeptanz. Sie sind aber auch als Landschaftspfleger aktiv. Die für Saale-Unstrut so typischen Weinbergterrassen bleiben so erhalten, nicht zuletzt deswegen, weil die Winzervereinigung mit einem speziellen Zuschlag die Arbeit in den Steillagen seit Jahren fördert. Und mehr und mehr entwickelt sich der Weinbauer auch zum Tourismus-Experten. Unsere Genossenschaft hat deshalb ihren Event- und Verkostungsbereich mit einem Neubau deutlich erweitert. Das ANISIUM hat sich seitdem prächtig entwickelt. Allein hier haben wir mit Unterstützung des Landes 2,3 Millionen Euro investiert.

Große Freude machen uns unsere Thüringer Rebflächen, die das Mitgliedsunternehmen AG Gleina vor zehn Jahren vor den Toren Weimars erwerben konnte. Auf 46 Hektar reifen hier fast zwanzig Rebsorten, darunter auch Neuzüchtungen, die sich erfolgreich gegen Pilzbefall wehren können und deshalb mit viel weniger Pflanzenschutz auskommen können. Eine Fläche wurde inzwischen gänzlich auf die Erzeugung von zertifiziertem Bio-Wein umgestellt, der erstmals mit dem Jahrgang 2023 auf die Flasche kam.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Viola Werner: Zukunft ist kein Selbstläufer. Der Generationswechsel ist in vollem Gange, in vielen Mitgliedsfamilien ist es nicht mehr selbstverständlich, den Weinbau weiter zu pflegen. Die mobile Gesellschaft macht eben auch vor dem traditionellen Weinbau nicht halt, längst sind Familien auch an Saale und Unstrut häufig geografisch getrennt. Auf der anderen Seite reben unsere Mitglieder weiter auf, so dass die Ertragsflächen auch in Zukunft eine solide wirtschaftliche Basis für die Winzervereinigung Freyburg bilden werden. Die Digitalisierung im Keller schreitet voran, moderne Technik übernimmt in den Rebanlagen zunehmend harte körperliche Arbeit. Trotzdem gehört die Nähe zur Natur zu den schönsten Seiten des Winzerberufs, der - so bin ich fest überzeugt - auch für die nächsten Generationen attraktiv und erstrebenswert bleiben wird. Denn wo Wein ist, ist eben auch Hoffnung!